Karl Marx statt Chemnitz

Stefan Kanis Regisseur Stefan Kanis bei den Außenaufnahmen. Foto: Thilo Reffert

MDR, 2018, Regie: Stefan Kanis Hörspiel des Monats April 2018

Ludwigshafen, Kristian­sand und Karlovy Vary sind es, die Mozart­kugel und die Schiller­locke sind es auch. Auch Washington, D.C. und sogar die Kant­straße in Limbach-Ober­frohna sind nach his­to­rischen Persön­lich­keiten benannt, nach Herr­schern, Künstlern und Denkern.

Wobei der Bezug zwischen Namens­träger und Namens­geber durchaus lose sein kann – so lose wie 1953, als die Regie­ren­den der DDR beschlossen, Chemnitz den Namen eines Philo­so­phen aus Trier zu verpassen, dessen Wirk­stätten Köln, Paris und London gewesen waren. Die Arbeiter­klasse hatte sich geehrt zu fühlen; die Chem­nitzer waren empört. Drei Viertel votierten in einer Bürger­befragung 1990 für die Rück­benennung in Chemnitz. Karl-Marx-Stadt war Geschichte, zum Vergessen frei­ge­geben wie Marx und seine Ideen.

Doch mit dem neuen Jahr­tausend erfuhr der Radikal­ökonom eine Renais­sance mit seinem 200. Geburts­tag als vor­läu­figem Höhepunkt. Soll man man die damit ver­bun­denen Werbe- und Synergie­effekte wirklich verpuffen lassen? Ist es ver­nünf­tig, von Marx' Namen nicht zu pro­fi­tie­ren? In Zeiten, da Auf­merk­samkeit die neue Währung ist, härter als Dollar und Bitcoin.

Sollen die politischen Aufgeregtheiten der Wende- und Nach­wende­zeit wirklich noch heute, im 21. Jahr­hun­dert den wirt­schaft­lichen Auf­schwung einer Stadt sabotieren, die zwischen Leipzig und Dresden darbt - in einem notorischen Auf­merk­sam­keits­defizit? Kann man ruhigen Gewissens zusehen, wie chine­sisches Kapital nach Trier (oder Lübeck!) strömt, womöglich noch nach Маркс und Э́нгельс an den Ufern der Wolga!

Es ist, nüchtern und ökono­misch betrach­tet, Zeit für neue Wege in Stadt­marketing und Wirt­schafts­förderung. Auf dass es am Zusammen­fluss von Zwönitz und Würschnitz bald heißt: Jawohl, dieser Philo­soph hat unsere Welt nicht nur inter­pre­tiert, er hat sie verändert.

Aus der Begründung der Jury der Deutschen Akademie der Dar­stel­lenden Künste:

ein Plot von tiefgründiger Heiter­keit und funkel­nder Bosheit … »Karl Marx statt Chemnitz« ist ein Stück, über das man Disser­ta­tionen verfassen kann – und das sich ebenso gut als prima Unter­haltung einfach weghören lässt.