Väter und Töchter

MDR, 2013

Hauptkommissar a.D. Fischer liegt im Kranken­haus – ohne Besuch. Bis eines Tages seine ehemalige Kollegin Annika de Beer aufkreuzt. Sie bringt Blumen mit, von der Tank­stelle, denn was sie eigent­lich will, ist Fischers Hilfe.

Fischer ist bedient. Es geht also nicht um ihn, sondern um einen Russen namens Gamzat Talibov, der abge­scho­ben werden soll. Annika will diese Abschie­bung verhindern, dazu soll Fischer seine alten Kontakte zur Zentralen Abschiebe­stelle Halber­stadt reaktivieren. Aber der ebenso kranke wie gekränkte Haupt­kommissar a.D. lässt sich nicht vor einen Karren spannen, schon gar nicht, wenn er nicht erfahren darf, was darauf ist.

Und so muss Annika mit der Wahrheit rausrücken: Die Wahrheit ist, dass die Russen­mafia in Magdeburg-Brückfeld einen Doppel­mord begangen hat und Talibov ver­däch­tig war. Das ist es jeden­falls, was die junge Kollegin de Beer für die Wahrheit hält, stellt Haupt­kommissar »w.i.D.« Fischer fest. Und was die Russen angeht, da hat er Annika ein paar Erfah­run­gen voraus. Oder nur ein paar Brocken Russisch?

Während Fischer und Annika ihr sehr eigenes Ver­hält­nis zuein­ander klären (klären sie es?), gelingt ihnen die Rekon­struk­tion eines deutsch-russischen Familien­schicksals.

Illustration Jürgen Frey zum Radio-Tatort Väter und Töchter von Thilo Reffert Illustration: Jürgen Frey

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Dieser Radiotatort ist allein aufgrund des Formats sehr mutig. Reffert beschränkt sich bei seinem Kriminal­fall räumlich auf ein Kranken­zimmer, in dem Kommissar a.D. Fischer liegt. Seine Ex-Kollegin Annika de Beer sucht Rat in einem Fall, den sie nach ihrer Rückkehr aus der Eltern­zeit auf­ge­drückt bekommen hat. Dieser scheint schier unlösbar und zusätz­lich hat sie in den Ermitt­lun­gen einige Fehler begangen. Nun steht sie nicht nur davor, einen Miss­erfolg zu verbuchen, sondern auch einem russischem Asyl­bewerber die Zeit in Deutsch­land zu verkürzen.

Fischer soll eigentlich nur die drohende Abschie­bung ver­hin­dern, was an der Dick­köpfig­keit der beiden Prota­go­nisten scheitert. Statt­dessen arbeiten beide den Fall nochmal auf …

Einen Radiotatort als Kammerspiel zu insze­nie­ren ist unge­wöhn­lich und wird viel­leicht die Hörer, die action­geladene Thriller in dieser Reihe bevor­zugen, etwas befremden. Dabei hat gerade dieses Format im Radio­hör­spiel Tradition, die aller­dings in den letzten Jahres etwas aus der Mode gekommen scheint. In diesem Genre sind jedoch viele der nach­haltig­sten Hör­spiel­krimi­perlen ent­stan­den; man denke nur an Produk­tio­nen wie Crowleys »Der Ohren­zeuge« (SDR 1975), Mudrichs »Vogel im Käfig« (WDR 1989) oder Haefs »Triumvirat«-Reihe (1984-2007). Gerade an Letzteres dürfte der Hörer erinnert werden, denn auch in Väter und Töchter nähert man sich der Lösung des Falles im Gespräch unter Zuhilfe­nahme von Mut­maßungen, Wahr­schein­lich­keiten und Erfahrungen.

Dabei bindet Thilo Reffert nicht nur die Eigen­heiten der beiden Prota­go­nis­ten sehr gut ein, sondern stellt auch ihre Ecken und Kanten prägnant, aber glaub­würdig dar. Sehr gelungen ist auch die Ein­be­ziehung des Titel­themas auf gleich mehrere Ebenen des Hörspiels. Ein cleverer Kniff, der schon in seinem vorherigen Tatort »Altes Eisen« vorhanden war, hier aber aufgrund der besonderen Figuren­konstel­lation noch besser wirkt.

Die beiden hervorragenden Schauspieler Hilmar Eichhorn und Nele Rosetz tragen das Stück fast ganz allein. Es gibt nur einen kurzen – aber für das besondere Beziehungs­geflecht wichtigen – Auftritt von Corinna Waldbauer als Krankenschwester.

Väter und Töchter wird nicht jedem Krimifan gefallen, dafür biedert man sich zu wenig an moderne Krimi­formate an. Aber es bringt nicht nur eine neue Farbe in die Reihe Radio­tatort, sondern sorgt auch mit einem guten Krimiplot, einem spannenden Figuren­kabinett und einer enormen Viel­schichtig­keit für außer­gewöhnlich gute Krimi­unter­haltung. Väter und Töchter gehört für mich zum Besten, was in dieser Reihe bislang produziert wurde.